Vier Feinde in Timmendorf

30. Oktober 2023 · Timmendorfer Strand

Reise an die Ostsee, nach Timmendorfer Strand. Hätten wir doch lieber ein anderes Urlaubsziel gewählt.

Der Kurpark im Regen. Ein Plakat mahnt zur Rücksichtnahme: Hunde müssen bitte an die Leine. Die mittelalte Frau, die uns entgegenkommt, führt einen dunklen Hund aus. Ein Biest, ein Tier, ein Monster. Schwarz und bullig, mit kräftigem Gebiss. Dieser Höllenhund ist natürlich nicht angeleint. Mir wäre das sogar egal – allerdings springt mich das Vieh an, ich habe unseren Sohn vor der Brust, seine Beinchen baumeln links und rechts aus der Babytrage. Möglicherweise hat der Hund sie gesehen und wollte ein köstliches Füßchen abbeißen. Als Snack. Als Wegzehrung.

Was ist denn hier los?

Ich spüre, wie der Hund mit seinen Pfoten gegen meine Hüfte drückt, drehe mich geschwind zur Seite, etwas perplex, ob des plötzlichen Angriffs. Kann mich aber auf den Beinen halten. Die mittelalte Frau packt derweil den Hund am Halsband, reißt ihn zur Seite, weg von den baumelnden Beinchen. «Ich habe hier ein Baby!», rufe ich noch. – Die Frau murmelt etwas wie: «Ja, ja.» Sie zuckt die Schultern, geht weiter. Ich bleibe stehen, ich habe große Lust, dieser Frau meine Meinung zu geigen. «Nimm jetzt deinen Scheißhund an die Leine!», rufe ich. Das tut erstaunlich gut, aber nur kurz, denn es bringt gar nichts, weil die Frau meinen Meltdown einfach ignoriert. Wie genial! Wir gehen rasch weiter, kommen wieder an einem Plakat vorbei: Bitte die Hunde an die Leine nehmen; Rücksicht nehmen. Dass ich die Contenance verloren habe, ist mir noch einige Stunden später peinlich.

Eine andere Frau beeilt sich, das schon, aber sie hat ihren grauen Porsche-SUV eben doch mitten auf den Fußweg gestellt. Das Fahrzeug blockiert den Weg – eine Dame mit Rollator hätte nun Probleme, weiterzukommen. Glücklicherweise kommt niemand, keine Dame mit Rollator, auch kein humpelnder Herr ohne Haare. Die Frau läuft also, rennt, hastet in ein Geschäft, wahrscheinlich möchte sie etwas abholen, womöglich Kaviar, Rolex-Uhren oder Goldbarren.

Der parkende Porsche ist ein Porsche Cayenne. Ein hässliches Fahrzeug, das sich aber bestens verkauft. Ein plumpes Statussymbol für 100K. Das also ist Timmendorfer Strand, eine Gemeinde in Schleswig-Holstein, bekannt für Sealife und einen Platz mit Brunnen. Uns egal, wir sind hier, um zu entspannen. Allerdings herrscht Sturmflut, als wir ankommen. Es weht eine steife Brise. Es regnet. Draußen ist es richtig ungemütlich. Und irgendwie ist das schön.


Timmendorfer Strand, das deutsche Miami Beach. Oder? Die Läden in der Fußgängerzone sind öde. Autos fahren herum: SUVs, der Porsche von vorhin, noch einer, ein Benz mit verwirrtem Opa am Steuer, das Navi sagt, er muss ins Meer fahren. Man sieht kleine Hunde, viele kleine Hunde, man sieht vereinzelt ein Kind, man sieht aber vor allem: viele Senioren. Rentner. Rollatoren. Sie humpeln und keuchen. Schnaufen und röcheln. In ihren Steppwesten und Steppjacken, in ihren beigefarbenen Jacken, mit langen Haaren aus den Ohren, mit buschigen Augenbrauen. Sie bleiben stehen. Grundlos. Mitten im Weg, immer mitten im Weg. Da stehen sie herum und schauen. Gaffen. Glotzen. Ganz verwirrt wirken sie.

Gemein, dass ich so lästere, aber es ist nun mal so, ich berichte, was war. Schreibe, was ist. Da sind auch andere junge Leute, wir nicken uns zu wie Busfahrer. Die Blicke sagen: Wir denken das Gleiche.

Wellen fressen Strände auf

Urlaub in Deutschland hat einen gravierenden Nachteil: Die Supermärkte sind überhaupt nicht spannend. Einkaufen bei Edeka, wie daheim. Bisschen teurer vielleicht, aber der gleiche Kram. Bei «Junge» noch Brötchen kaufen, die mit Haselnuss, die sind ausgezeichnet, köstlich, sehr knusprig. Fünf Brötchen gibt es zum Sonderpreis, also kaufen wir fünf Brötchen fürs Abendbrot und auch gleich fürs Frühstück, die backen wir dann kurz auf. In der Unterkunft sitzen wir, als der Sturm über das Land fegt. Sturmflut. Das Wasser kommt, Wellen fressen Strände auf.

Pizza, Pasta, Gyros

Kulinarisch ist Timmendorf Beach ein ziemlicher Reinfall. Die Restaurants im Ortskern bieten Übliches: Pasta, Pizza und Schnitzel (aus der Fritteuse). Hier beweist Deutschland abermals, dass Essen da ist, um satt zu machen. Beim Griechen gibt’s Gyros und im Café W. groteske Torten voller Sahne und Marzipan. Da sitzen sie und mampfen und trinken mittelmäßigen Kaffee, gaffen, starren, schauen. Es ist erstaunlich, wie unverschämt vor allem alte Leute uns und unseren Sohn anstarren. Ja, er ist der süßeste Schnuffel weit und breit – aber meine Güte, es ist auch mal gut. Unterhaltet euch, lest ein Buch, schaut andere Kinder an, betrachtet Hunde oder den Himmel. Ihr Ficker. Huch, ich schreibe ganz schön wütend!


Eine ältere Dame steht an der Treppe nach unten, da sind die Toiletten, sie murmelt: «Das schaffe ich nicht.» Dreht um, geht nicht pinkeln. Eine seltsame Welt ist das hier. Und nicht barrierefrei. Ich muss plötzlich an den Bus denken, den wir am Bahnhof bestiegen haben. Keine Durchsagen, keine Anzeige, keine Information, welche Station der Bus anfahren würde. Also haben wir auf Google Maps die Route live mitverfolgt, um an der richtigen Stelle auszusteigen. Wie bekommen Senioren das hin, die ohne Smartphone durchs Leben stolpern? Den grummeligen Fahrer fragen? «Sind wir schon da, sind wir schon da?» Da tun mir die älteren Herrschaften doch noch leid, obwohl sie ständig mitten im Weg stehen bleiben und uns begaffen, als wären wir gelb und grün und pink. Als wären wir Punks. Sind wa aber nicht, nur im Inneren.

Schwule Dünen

An den flachen Dünen stehen Schilder, die mahnen, nicht hineinzutrampeln (in die Natur). Verboten ist außerdem, am Strand Shisha zu smoken. Seltsam spezifisches Verbot, also darf ich dort aber Zigaretten rauchen? Well, anyhow. Unterzeichnet sind die Verbotsschilder mit: der Bürgermeister. Wer ist denn das, frage ich mich und frage Google: Sven heißt er, bei der FDP ist er, schwul ist er. Sven findet aber, dass queere Leute lieber nicht so auffallen sollten, damit sie nicht Ziel von Attacken werden. Das Schrille würde Leute überfordern. Findet Sven. Aha. Lieber also leise leben, heimlich leben, dann passiert auch nichts? Sven tut sich schwer mit der queeren Szene, schreibt die taz, und das ist ziemlich lächerlich. Aber mach mal.

Der Eklat

Dann kommt es zum Eklat: Wegen der Sturmflut sind die Schotten dicht und die Strandzugänge versperrt. Nur an einigen Stellen ist der Weg (wieder) frei, sodass wir doch an den Strand können. Wir laufen also durch den Sand, die Sturmflut ist fast eine Woche her. Das Wasser ist ruhig. Auf Höhe des Grand Hotel haben wir aber keine Lust mehr und suchen einen Weg zurück zur Strandpromenade. Über das Schott kann ich aber nicht klettern oder hüpfen, ich habe den lieben Sohn an meiner Brust, in seiner Trage. Wie entkommen?

Da steht ein Häuschen von der DLRG, daneben führt ein Trampelpfad ein kleines Stück durch die Düne – unser Ausweg. Als wir diesen Pfad nehmen, ruft eine Frau aufgebracht: «Hey, Sie da!» Sodann bekommen wir Ärger, weil wir da angeblich die Natur zerstören. Ich weiß: Ich sollte mich nicht provozieren lassen; ich sollte nett bleiben, cool bleiben. Die Contenance bewahren. Ich sollte empathisch sein und versuchen, die besorgten Bürger zu verstehen. Sie mögen halt keine Touristen, verständlich.

Doch lieb sein ist schwer, und ich habe große Lust auf Streit. Schon wieder. Also gleich auf 180, ich motze die Frau ungehalten an: «Gehen Sie einfach weiter!» Ich bin wie ein 14-Jähriger, der beim Shisharauchen am Beach erwischt wurde. Und Sven ist übertrieben sauer.

Wer ist er denn jetzt?!

Ihr Ehemann baut sich auf, plustert sich auf – er ist fassungslos. Wie bitte? «Hier ist doch ein Trampelpfad!», rufe ich sinnlos erklärend, und deute zusätzlich auf die zertrampelten Halme. «Ja, weil Deppen wie Sie die Natur zerstören», keift der Kerl. Ein weiterer Mann bleibt stehen, ein Unbeteiligter, der sich einschaltet. Wer ist er denn jetzt?!, denke ich.

Das lieben Deutsche: sich einzumischen. Der schmale Weg führt an der Bude vorbei, da liegt Müll und da liegt auch eine Tierfalle. Die unberührte Natur, die ist woanders. Und selbst wenn ich die Dünen komplett rasieren würde – was geht es diese Leute an? (Nichts.) Privatpersonen, die sich als Ordnungshüter aufspielen, die endlich mal was zu sagen haben – die kann ich gar nicht leiden. «Tun Sie mir einen Gefallen», ruft der Mann abschließend. «Suchen Sie sich ein anderes Urlaubsziel.» Diesen Gefallen werde ich dem Blockwart tun. Niendorf hat mir ohnehin besser gefallen.

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