Kurzurlaub in einem winzigen Dorf in Niedersachsen. Hier ist die Heide, hier leben Wölfe und Kühe. Fußwege gibt es keine.
In der Nähe von Verden (bei Bremen). Überall stehen Bäume und Windräder herum, manche drehen sich, also die Windräder. Überall sind Straßen, die sind nötig, um die Inseln miteinander zu verbinden. Jeder Hof ist eine Insel, und jedes Dorf irgendwie auch, denn sie bestehen oft nur aus vier Häusern. Es gibt kein richtiges Ortsschild, sondern nur eine grüne «Ortshinweistafel». Und Fußwege gibt es auch keine. Da sind nur die Straßen und die Rasenflächen und die uralten Bäume und die alten Häuser und der Hof, auf dem aber nur noch zwei Schweine leben. Die Heideperle hat schon lange zu.
Radfahrer fahren die Landstraße entlang, auch die Autos natürlich, die mit 100 und schneller da entlang brettern, brausen, ballern. Manchmal dürfen sie nur 70 fahren, kurz sogar nur 50, dann endlich wieder 100. Von Bäumen gesäumte Straßen; links befindet sich ein kleiner Wald und auf dem Asphalt sind schwarze Bremsspuren eingebrannt, die von einem Unfall zeugen.
Es ist niemand zu sehen. Da stehen nur die Häuser – es müssen hier also Menschen existieren, ihre Autos stehen vor den Häusern, den breiten Bauten, die alle gleich aussehen. Es sind riesige Grundstücke, große Gärten, die manchmal nur leere Wiesen sind. Im Ort ist kein Mensch unterwegs. Da ist niemand, der einen Hund ausführt. (Wenn ich in der Stadt den Müll rausbringe, begegne ich mehr Menschen in 30 Sekunden als hier an einem Tag.) Selbst die Häuser wirken verlassen. Da ist nur einmal jemand, der an seinem Fenster vorbeihuscht, dann geht im Bad das Licht an, die Milchglasscheibe wird gelb. Halb zehn, Zähne putzen und dann schlafen, weil man morgen in der Früh losmuss, um woanders zu arbeiten, in einem Büro in einer anderen Welt. Nach Hannover dauert die Autofahrt 1 Stunde und 15 Minuten – oder halt länger, weil alle hinfahren. Nach Feierabend zurück in die Idylle. Wo es so ruhig ist. So still und friedlich.
Allerdings treibt hier draußen der Wolf sein Unwesen. Das hungrige Biest. Es raschelt im Gebüsch, der ganze Wald raschelt, die Bäume. Es ist nur der Wind. Keine Panik. Leuchten da zwei Augen?
Im Hofcafé servieren sie einen Cappuccino, der kaum genießbar ist. Wässrig und viel zu heiß, immerhin ist der Käsekuchen köstlich, also bin ich versöhnlich. Am Nebentisch sitzt ein altes Ehepaar, die eisern schweigen. Sieht man oft. Sie haben alles besprochen. An einem anderen Tisch sitzt eine Familie, Vater und Mutter und Tochter und Tochter, sie schweigen ebenfalls. Der Vater sagt nur einmal kurz etwas, kaum zu hören, als wäre er ein Agent. Die Töchter sind viele Meter groß. Und blond sind sie, aber das ist eigentlich egal. Ich trinke aus, der Sohn will endlich etwas erleben. Wir schauen uns eine Winkelspinne an, die an der weißen Wand zu kleben scheint. Der Cappuccino stammt aus einem Vollautomaten, überlege ich nebenbei; erkennbar an den zwei braunen Punkten im Milchschaum. Finde ich nicht gut.
Bei uns in der Unterkunft hat sich auch eine Seniorengruppe einquartiert. Am ersten Abend haben sie eine Musikerin bestellt, die trällert und spielt Harfe. Die alten Leute lauschen und trinken. An einem anderen Abend sitzt der Anführer auf der Terrasse mit seinem iPad und bearbeitet gewissenhaft WhatsApp-Nachrichten. Ich hole mir ein Vitamalz. Unten gibt es einen kleinen Laden ohne Kassierer; man nimmt sich, was man möchte – Hanuta oder eben Malzbier – und trägt das in einer Liste ein. Jemand wird später Honig erwerben, aber bei uns eintragen. Es muss der alte Mann gewesen sein, verwirrt und den Kopf voller Musik und WhatsApp-Nachrichten. Zudem gibt es morgens einen Brötchenservice, die tags zuvor bestellten Brötchen liegen morgens im Korb – und das ist herrlich und bequem, das möchte ich zu Hause auch haben. Der Clou: Die Bestellung erfolgt in einer App. Es ist so wunderbar. Normalerweise muss ich im Urlaub nämlich stets los, um schlaftrunken fremden Verkäuferinnen zu sagen, was ich möchte. Dabei will ich doch schweigen. Schlafen. Schlummern. Schlemmen. Auf Sylt etwa hatte ich es nicht weit, nur einmal die Straße runter.
An einem Tag fahren wir nach Verden, um für den lieben Sohn einen Sonnenhut zu kaufen; den haben wir zu Hause vergessen. Also fahren wir rein in die Stadt und da ist sie wieder: die Hektik. Die Nerverei, weil andere Menschen existieren. Dabei ist Verden klein. Hier ist nicht viel los. Die Fußgängerzone ist ganz hübsch, wir essen dort Pizza beim Italiener, weil wir den Griechen nicht finden. Scherz. Der Sohn isst Nudeln. Dann flanieren wir herum und gehen an der Weser entlang.
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