Acht Monate

5. Februar 2024

Unser Sohn ist nun fast acht Monate alt, und tatsächlich ist es echt anstrengend, ein Baby zu haben. Auch schön und erfüllend, na klar, aber auch: kräftezehrend. Dieses Gefühl, dass wir uns täglich kümmern müssen. Es gibt kein Wochenende, keine Auszeit, keinen Urlaub. Der Sohn ist immer da, morgens bis abends, 24 Stunden lang – und wir sind für ihn verantwortlich, niemand sonst. Vielleicht noch der Staubsauger, den liebt er nämlich, wir wissen nicht, warum. Da sitzt unser Sohn also und lächelt und lacht und gluckst. Er soll das beste Leben haben.

Der Sohn mampft vergnügt, macht Quatsch

Wenn ich die jungen Nachbarn über uns saugen höre, denke ich: Was tut ihr hier? Ihr könnt jetzt überall sein, ihr könnt machen, was ihr wollt – sogleich zum Flughafen fahren und ins nächste Flugzeug steigen und ans Ende der Welt fliegen. Oder wenigstens nach Mallorca und dort herumlungern. Wir hingegen sind hier und bereiten das Frühstück zu, das Mittagessen, das Abendessen. Jede Mahlzeit dauert eine Stunde, anderthalb Stunden. Der Sohn mampft vergnügt, macht Quatsch, wirft den Löffel auf den Boden (und noch einmal und noch einmal und noch einmal). Oder er zermatscht die Süßkartoffel zu einem Brei. Schleudert die Zucchini durch die Luft. Sein Tripp-Trapp sieht nach dem Essen aus, als hätte dort eine Schlacht stattgefunden. Ein Krieg zwischen Minimenschen, die sich mit Süßkartoffeln bewerfen. Lebt dieses seltsame Volk der kleinen Menschen hinter den Regalen? Wer ist ihre Königin – verstehen sie unsere Sprache? Können wir die kleinen Menschen überhaupt hören? Ist unser Sohn ihr neuer Gott?

Irgendwie habe ich Lust, Simpsons zu gucken. Aber das geht jetzt nicht, denn er Sohn steht neben dem Staubsauger – steht auf dem Staubsauger, liegt neben dem Staubsauger. Er würde so gern laufen und wenigstens stehen; er kann immerhin krabbeln und sitzen. Hat er schnell gelernt, er ist keiner, der nur herumliegt, auf dem Rücken, und die Decke anstarrt – er ist an der Decke, rennt da lang, wie Spider Pig. So wird es kommen, dass er eines Tages die Wände hochgeht. So agil ist er, so aktiv. Keine Pause, er räumt den nächsten Karton aus. Abends, wenn er schläft, ist immerhin Pause: Dann schauen wir The Bear oder Atlanta oder Oderbruch oder IBES. Oder wir glotzen auf kleine Displays. Ich träume, wie ich auf den Sohn aufpasse. Pass auf, schau her! Und morgens geht alles wieder von vorn los: Frühstück, krabbeln, lachen.

Jetzt brabbelt er ganz niedlich, wir hören «Babababa!» durch die Wohnung hallen. Hinten räumt er die Garderobe ab. Herrlich. Schön. Anstrengend. Wie gesagt. Acht Monate, wie im Flug – ein Flug ans Ende der Welt.

Kindheit bei Kaufhof

6. Januar 2023

Kaufhof schließt für immer, der große Kaufhof in der Innenstadt. Der hieß seit einer Weile nur noch Galeria, früher hieß er Horten, dann Galeria Kaufhof. Als Kind war ich oft dort, neue Schuhe kaufen, Pullover und Jeans, Spielzeug und Videospiele. Alles, was ich brauchte, gab es dort (und bei Karstadt).

Meine Mutter drückte auf den Schuhspitzen herum, zuppelte am neuen Pullover. Zwischendurch Mittagessen bei Dinea, ganz oben. Bei den Klos hockte die Frau, der man immer ein paar Münzen auf den Teller legen musste, um keinen kalten Blick zu kassieren. (Fast wie früher in der Kirche, wenn der komische Klingelbeutel herumging: Ein paar Cent reinklimpern lassen und rasch weitergeben.) Bei Dinea also Schnitzel mampfen und weiche Pommes durch den Ketchup ziehen. Dazu Fanta oder Sprite schlürfen. Anschließend weiter, noch mehr kaufen. Einen Anorak vielleicht, noch ein T-Shirt.

Ausverkauf

Jetzt, im Januar 2023, ist endgültig Schluss: Ausverkauf! Die Regale sind leer, sie werden abgeschraubt, abgebaut, weggefahren. Ein letztes Mal stehe ich in diesem Kaufhaus. Viel zu kaufen gibt es nicht mehr – nur noch ein paar Brettspiele und Kleinkram. Es riecht trotzdem noch nach Parfüm.

Früher war hier immer was los, vor allem zu Weihnachten. Über die Jahre kamen immer weniger. Ich wollte immer nur nach oben fahren, zum Spielzeug, zum Lego, zu den N64-Spielen. Klar. Jetzt öffnet sich die Fläche, jetzt ist so viel Platz. Ein Zyklus endet. Das Kaufhaus-Gebäude soll bald komplett abgerissen werden, berichtet die Zeitung. Dann verschwinden auch die Horten-Kacheln – und mit ihnen ein Stück alte BRD und ein paar Kindheitserinnerungen.