Im Oktober

12. Oktober 2024

Nachdem Drop-off in der Kita kann ich jetzt nicht mehr ins Café gehen: Ich muss jetzt wieder zur Arbeit, ich muss ins Büro. Muss mit der Bahn fahren. Mit den anderen, die wohin müssen. Ich sitze da und die Bahn fährt; einer schaut sich ein Video auf dem Handy an, Kopfhörer hat er keine, der Ton ist blechern. Studentinnen reden über ihre Hausarbeit, Doktorarbeit. Ich bin müde und starre aus dem Fenster. Gern hätte ich ein Buch dabei, aber ich hab’s vergessen, es liegt zu Hause; gern wäre ich woanders, gern wäre ich: zu Hause. Ich rumple durch die Zeit.

Am Montag sitze ich allein im Büro, da ist ein Fleck auf dem Stuhl. Fast 2000 ungelesene E-Mails liegen in meinem Postfach. Dienstag muss ich den lieben Sohn mittags aus der Kita abholen – sie zersägen Bäume im Hinterhof, ein Kettensägenmassaker, ein Höllenlärm, die Kinder können nicht schlafen. Also mache ich eine lange Mittagspause und der Sohn schläft in der Trage; ich laufe durch den Stadtteil wie vor ein paar Wochen schon, als ich meine Elternzeit damit verbrachte, den schlafenden Sohn durch die Stadt und durch den Wald zu tragen. Mittwoch: Arbeit; Donnerstag: Arbeit; Freitag: Arbeit. Dann Feierabend, und die erste Arbeitswoche ist geschafft; die erste Woche mit Kita und Arbeit und Einkaufen und Terminen und Mails und Aufgaben und–

Ich sitze in der Bahn, da sitzen die anderen Gestalten, Figuren, Menschen, Hunde. Manche lesen sogar ein Buch; ich habe meins schon wieder vergessen. Es liegt zu Hause. Die Sonne scheint. Der Sohn schläft noch, als ich ihn in der Kita abholen möchte.

Sinnloses Verschieben

14. November 2023

Als ich vor zwanzig Jahren ein zweiwöchiges Schulpraktikum in einer kleinen Webdesign-Agentur absolvierte, saß ich die meiste Zeit auf meinem Schreibtischstuhl und starrte auf den Bildschirm, schaute aus dem Fenster und ging um 17 Uhr wieder nach Hause. Es war Winter, es war dunkel, es war grau und trostlos. Das war meine Welt. Sie reichte nicht weit.

Es war dunkel, grau und trostlos

Meine Aufgabe bestand eines Tages darin, Dateien auf dem Server von einem in den anderen Ordner zu verschieben, tausende Dateien waren das. Eine Aufgabe für zwei Arbeitstage. Grotesk langweilig, stupide und geistig lähmend. Keine Aufgabe für einen Menschen, sondern für ein Skript, für ein Tool, für Software. Es war dämlich und ich hasste diese zwei Wochen in der Webdesign-Agentur unendlich, behauptete gegenüber Frau Wesche-Brockmann aber, dass dieses Praktikum «ganz gut» sei. Immerhin gab es an einem Freitag Rotwein, den die Kollegin aus Moldawien mitgebracht hatte.

Meine Lehrerin mochte mich nicht – und ich mochte sie nicht, und da saß sie mir gegenüber an diesem Schreibtisch in der Webdesign-Bude, deren Büros sich in einem schmucklosen Gebäude befanden, das auf einem Feld stand. Da wehte stets der kalte Wind über das Land. Frau Wesche-B. machte Kontrollbesuche, prüfte, ob wir auch wirklich ein Praktikum machten – und nicht heimlich zu Hause blieben und Playstation spielten. Ich kam brav jeden Tag mit dem Rad in die Firma, fuhr durch die eisige Kälte, immer gegen den Wind strampelnd. Wie glücklich ich war, als ich abends aus dem Gebäude trat und mein Fahrradschloss aufschloss und wegfuhr. Feierabend: ein köstliches Gefühl, besonders betrunken am Freitag.

Ich musste an dieses Praktikum denken, als neulich ich neulich eine Aufgabe erledigen sollte, die ich als völlig sinnlos empfand. Da fiel mir wieder ein, wie ich vor zwanzig Jahren in diesem trostlosen Gebäude saß und Dateien von einem in den anderen Ordner verschob, tausende Dateien, die nach Feierabend wahrscheinlich gelöscht wurden. Manchmal fühlt sich das Leben so an wie damals an diesen Tagen, als der Wind kalt über die dunkle Erde wehte.

Pflichterfüllung, aber es regnet

14. Oktober 2023

Regen fällt auf die Stadt. Heute ist Freitag, heute fährt eigentlich niemand ins Büro. Ich hingegen muss hinfahren, um mein dieswöchige Quote zu erfüllen – so wollen es die Regeln: drei Tage Anwesenheitspflicht, zwei Tage Heimarbeit. Doch meine Anwesenheit an diesem Freitag ist sinnlos: Mein Büro ist leer, da bin nur ich. Also führe ich Selbstgespräche: «Und, was machst du am Wochenende?» – «Ach, vielleicht ein wenig schlafen.» – «Schön.» Meine Kollegen dürfen zu Hause bleiben, sie haben ihre Pflicht erfüllt. Und darum geht es.

Ich konnte die Quote nicht erfüllen, denn ich war zwei Tage krank, musste also die verbleibenden drei Arbeitstage ins Büro fahren. Da sitze ich also mit feuchter Hose, eingeweicht vom Sprühregen. Hinter mir die weiße Wand, unter mir der dunkelgraue Teppich. Vor mir eine Wand aus Bildschirmen, die sind ebenfalls schwarz, denn es sind nicht meine Bildschirme – es ist nicht einmal mein eigener Arbeitsplatz, ich muss ihn mir teilen. Früher waren wir sogar zu dritt auf diesem Platz, wie in einem U-Boot, in dem sich mehrere Kerle eine Koje teilen. Es schläft immer jemand, die Matratze ist immer warm, die anderen machen U-Boot-Sachen.

Es schläft immer jemand; die anderen machen U-Boot-Sachen

Auf diesem geteilten Arbeitsplatz, diesem Shared Desk steht und liegt nichts von mir. Kein angeknabberter Stift, keine braune Pflanze, kein Familienfoto. Wenn man mich spontan entlässt, kann ich einfach aufstehen und gehen. Ich wäre einfach weg. Meine Arbeit kann ich problemlos im Homeoffice erledigen, ich arbeite nämlich nicht in einem U-Boot. Doch selbst das könnte man bestimmt sogar vom Sofa aus steuern. Aber ich weiß nichts von U-Booten.

Im Office zu erscheinen, in die Firma zu kommen, das soll den Teamgeist stärken. Ist ja auch nett: Ein wenig quatschen und zusammen essen, trinken, lästern. Absprechen, was man am Wochenende machen möchte. Doch wenn der Geist nicht im Gebäude weilt, klappt das natürlich nicht. Dann ist die Fahrt durch den Regen großer Quatsch, dann ist meine Präsenz absurd. Und trotzdem sitze ich an diesem Freitag im Büro. Hinter mir die weiße Wand, unter mir der graue Teppich. Am Ende geht es nur um die Erfüllung starrer Regeln. Das ist New Work. Oder?

Ganz praktisch

12. Oktober 2023

Gestern hätte ich einen Umschlag erhalten sollen. Doch ich war nicht im Büro, sondern zu Hause. Am nächsten Tag bin ich im Büro und finde auf meinem Schreibtisch, den ich mir mit zwei Kolleginnen teile, den Umschlag. Da liegt er, weil der Teamleiter ihn dort abgelegt hat. Ein gewöhnlicher Umschlag auf der weißen Tischoberfläche. In diesem Umschlag befindet sich ein Gutschein für Rossmann sowie eine Karte: Meine Kollegen gratulieren mir zum Sohn. Sein Name steht nicht auf der Karte; vielleicht wissen sie ihn nicht. Ich stecke den Umschlag ein und arbeite.

Vor einem Monat bin ich aus der Elternzeit zurückgekehrt; der Sohn ist vor vier Monaten geboren. Andere kehren zu ihrer Arbeit zurück und werden mit Blumen begrüßt und ehrlicher Freude. Das stelle ich mir schön vor: dass man sich als Mitarbeiter wertgeschätzt fühlt. Ich kann nun immerhin bei Rossmann praktische Sachen kaufen. Windeln und Einmalwaschlappen und Klopapier. Ganz praktisch.

Eine Woche im Spätsommer

10. September 2023 · Hannover

Dear Diary: Nach drei Monaten endet meine Elternzeit, noch bleiben mir aber einige Tage, bis das Arbeitsleben wieder beginnt. Am Montag sind wir in der Stadt unterwegs, in der List, beziehungsweise in der Oststadt. Niemand weiß genau, wo welcher Stadtteil beginnt oder endet, nur unangenehme Streber wissen das. Der brandneue Sohn und wir stehen vor einem geschlossenen Geschäft, «Kind der Stadt» hat montags zu.

Statt Shopping also ein spätes Mittagessen im «Codo», zumindest wollen wir es noch einmal versuchen. Vorhin war kein einziger Tisch frei, dabei war es 14:30 Uhr. Doch offenbar muss niemand mehr arbeiten, alle sitzen entspannt herum, sie essen schmatzend und trinken durstig. Eine rauchende Frau ruft plötzlich: «Wie eine Puppe!» Sie meint unseren Sohn – schnell weiter, schnell weg hier. Inzwischen ist es 15 Uhr, endlich sind im «Codo» ein paar Tische frei; wir benötigen nur einen. Später gehen wir zu dm, denn dort steht ein Wickeltisch. In erstaunlich vielen Restaurants ist das Wickeln eine Herausforderung. Das sind so Dinge, die mir nun auffallen.

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Manchmal ist dieses Gefühl stark: Ich schiebe Symbole auf dem Bildschirm hin und her – aber das ist völlig sinnlos.