Ruhe im Wind

23. August 2024

Heute ist Freitag und ich sitze wieder auf dem Friedhof. Es ist ein alter Friedhof, der eigentlich keiner mehr ist, aber noch so heißt: Gartenfriedhof. Die Grabsteine sind alt, manche zweihundert Jahre; sie stehen hier, während die Leichen unter ihnen längst vermodert sind. Dort sitze ich also auf einer Parkbank und warte ab. Vorn trinken die Trinker an der Kirche, sie trinken und stinken; da sitzt auch ein Obdachloser, der auch abwartet. Auf den Tod wartet. Auf ein paar Münzen, die ein betuchter Bürger in die Luft schnipst. Da sind auch Tauben und da sind zwei Hunde, die über den ehemaligen Friedhof pesen, obwohl das nicht erlaubt ist. Verboten ist es auch, auf die Gräber zu pinkeln, steht vorn auf der Tafel. Es gibt eine Art öffentliches Klo: Es handelt sich um ein Dixi-Klo in einem Metallverschlag. Es ist kein Wohlfühlort, wahrlich nicht.


Ich habe Zeit. Anfang der Woche zwei Stunden, inzwischen eine halbe Stunde mehr: zweieinhalb Stunden. Der Sohn verweilt in dieser Zeit allein in der Kita, also ohne mich, da sind schon noch Leute – die Erzieherinnen, der Koch und die anderen Kinder. Aber ich bin nicht mehr dort. Die Eingewöhnung nimmt Fahrt auf. Ein anderer Vater verweilt ebenfalls hier, aber er ist ins Smartphone abgetaucht, er sieht mich deshalb nicht. Dann mähen die Mitarbeiter der Stadt den Rasen, mähen über die ehemaligen Gräber. Ich gehe woanders hin, trinke einen Flat White.

Der Wind streicht durch die Bäume

Die Blätter fallen. Es riecht nach Herbst und es sieht auch so aus, als das Sonnenlicht die Bäume bescheint. Ich sitze mit meiner Frau vor dem Bistro K. und trinke den besagten Flat W., dazu esse ich Focaccia. Wir sind das erste Mal ohne Kind im Café. Der Trubel der Stadt umhüllt uns. Da laufen Schülerinnen entlang, sie haben Pause und sie gehen zu Rewe, wo sie Brötchen kaufen und Tabak oder diese Einmal-E-Zigaretten. Sie reden wirres Zeug, sie gackern und lachen. Ich weiß auch nicht. Ich zähle die Lastenräder, die an mir und diesem Tisch vorbeifahren: Es sind erstaunlich viele. Und doch dominieren weiterhin die Autos, sie machen Lärm und sie töten und sie sehen hässlich aus. Seit ich den Sohn morgens mit dem Kinderwagen in die Kita bringe, ist meine Auto-Abscheu noch gestiegen. Diese Inkompetenz und Rücksichtslosigkeit hinterm Steuer. Da wird zugeparkt, was nur geht, es ist egal, dass ein abgesenkter Bordstein dazu da ist, Kinderwagen und Rollstühle einfacher vom schmalen Bordstein zu bekommen. Interessiert den Porsche-Fahrer nicht: Der Hurensohn parkt wie einer und ich habe Lust, sein dummes Fahrzeug zu sprengen, aber das ist illegal, habe ich in der Brigitte gelesen. Ein BMW-Fahrer fährt mich dann noch fast über den Haufen, er möge verflucht sein bis ins zehnte Glied. Der Wind streicht durch die Bäume, durch mein Haar, er singt: Beruhige dich! Und ich weiß ja, er hat recht.

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