Murakami kaufen

12. Januar 2024

Das neue Jahr beginnt mit neuem Lesestoff: Als Murakami-Ultra bin ich heute natürlich in den Buchladen gelaufen, um den neuen Roman vom japanischen Kultautor zu erwerben. «Die Stadt und ihre ungewisse Mauer» heißt er. Als ich den Laden betrat, begrüßte mich sofort eine Buchhändlerin, die sozusagen hinter der Tür auf Kunden lauerte. Diese aggressive Freundlichkeit mag ich nicht, offen gesagt, ich bin lieber der stille Kunde, der in Ruhe das Sortiment begutachtet – ich komme schon alleine klar.

«Ich schaue erst mal», sagte ich, und die Verkäuferin ließ widerwillig von mir ab, kehrte zu ihrem Versteck hinter der Tür zurück, um mich gewissenhaft im Auge zu behalten. Das gesuchte Buch stand im Regal mit den Neuerscheinungen, ich freute mich kurz, ehe prompt die Ernüchterung erfolgte. Die Seitenränder des Buches waren beschmutzt, schwarze Flecken ruinierten den Gesamteindruck. Was Bücher angeht, bin ich leider ein anstrengender Pedant. Und schließlich kostet dieser Roman 34 Euro, das sind fast zehntausend Mark. Dafür verlange ich ein einwandfreies Exemplar. So what?

Seitdem die Buchindustrie entschieden hat, die Bücher nicht mehr in Plastik einzuschweißen, ist ein großes Problem für Leute wie mich entstanden: Die Schutzumschläge sind der Welt schutzlos ausgeliefert; den groben Händen der Buchhändler, den harten Regalen und natürlich auch den klebrigen Griffeln der Kunden, die die Bücher begrapschen und Haare hineinlegen und Fingernägel. Viele ungelesene Hardcover-Bücher sehen deshalb erstaunlich ramponiert aus. Die zarten Umschläge sind eingerissen, zerknickt oder schmutzig. Wahrscheinlich sollen Verbraucher den Schutzumschlag als Verpackung verstehen und ihn sogar entsorgen.

Tschüss!

Enttäuscht musste ich den Buchladen verlassen, kaufen würde ich das verdreckte Buch bestimmt nicht. Ich rief: «Tschüss!» und die vier Buchhändlerinnen riefen zurück: «Auf Wiedersehen!» Diese Buchhandlung ist klein und die Auswahl eigenwillig, sie verfehlt so ziemlich meinen Literaturgeschmack (bis auf Murakami). Seltsam, dass hier mindestens vier Verkäuferinnen arbeiten, so groß ist das Interesse an Literatur in dieser Gegend offenbar nicht – sonst gäbe es mehr Buchläden. Aber es gibt hier nur diesen einen.

Ich bestieg mürrisch die Stadtbahn und fuhr in die belebte Innenstadt, um im großen Buchladen das Buch zu erwerben. Meine Überlegung: je größer der Laden, desto mehr Exemplare vom neuen Murakami werden sie haben. Und so war es dann auch: Sie hatten aus den Werken eine Pyramide errichtet. Wie ein Triebtäter lungerte ich dort herum, um diskret ein makelloses Exemplar aus dem Stapel zu zupfen. Wie beim Jenga. Die Pyramide krachte ein, schnell schnappte ich mir das schönste Buch und trug es rasch zur Kasse und zahlte satte 34 Euro für den neuen Murakami. Ich weiß nur nicht, wann ich ihn lesen soll.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert