Bald ist Ostern. Deshalb gibt es beim Bio-Bäcker süße Osterhasen zu kaufen, also Gebäck in Hasenform. Die Frau vor mir stellt viele Fragen zu dem Produkt: Wie lange es hält und welche Zutaten es enthält. Die Verkäuferin beantwortet geduldig, während ich genervt in meinem Auge herumwühle. Auf der Fahrradfahrt hierher war mir ein Getier ins Auge geflogen, dort ist es nun drin; am Augapfel klebt es. Ich hasse das. Es ist ein Ritual, auf dem Weg nach Hause bei dieser Bäckerei anzuhalten, um Brot oder Brötchen zu erwerben sowie das ein oder andere süße Teilchen. Das ist doch ein normales Verhalten, sehr erwachsen, nicht wahr?
Die Frau vor mir fragt jedenfalls weitere Fragen und erklärt, dass sie Weizen schlecht verträgt. Die Frau ist erstaunlich klein, und sie hat ihren Kram großzügig ausgebreitet. Auf dem Tresen liegt ihre Tasche und vor dem Tresen steht ihr Trolley. Der steht im Weg. Alles an ihr ist bunt, alle Farben sind zu sehen. Und die Frau lacht laut: Sie hat Zähne aus Bananen. Sie lacht zu laut. Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. Hoffe inständig, dass sie mich nicht bemerken wird. Ich stehe hinter ihr und schreie innerlich, weil ich nur nach Hause möchte, um mir endlich dieses Tier aus dem Auge zu spülen. Aber ich bin immer noch hier, da die Frau nicht in die Gänge kommt. Jetzt möchte sie noch Brötchen kaufen, aber ohne Weizen. Wie gesagt, den verträgt sie nicht.
Jesus in der bunten Tasche
«Ich habe dann noch etwas zu lesen für Sie», kündigt die Frau an und kramt in ihrer bunten Tasche. Sie holt einen Flyer hervor, darauf steht: Lieb Jesus! Es sind Wolken zu sehen und der Himmel. Bald ist Ostern, es muss daran liegen. Ich muss immer zu lange nachdenken, ob Jesus an Ostern gestorben oder geboren ist, was Jesus genau gemacht hat – ich muss es nicht wissen, weiß es aber, es fällt mir dann immer ein: An Ostern hatte Jesus Heuschnupfen und das feiern wir mit süßen Osterhasen, die aus Gebäck bestehen, damit wir ihnen die Köpfe abbeißen können, ohne dass Kinder vom Anblick weinen müssen.
Es stimmt, ich bin Existenzialist
Wenn die Frau auch mir einen Jesus-Flyer andrehen will, werde ich den ablehnen und laut sagen, was ich denke. Ich werde mich outen: Es stimmt, ich bin Existenzialist, die Gerüchte sind wahr, ich glaube an Sartre und Camus, nicht aber an einen bärtigen Cis-Mann, der auf Wolke #7 schwebt und die Menschen beim Masturbieren beobachtet und eine Strichliste führt: IIII. Na ja. Die Frau wird jedenfalls Augen machen, freue ich mich innerlich. Doch die Frau, die erstaunlich klein ist, sie sieht mich nicht.
Kann mich denn niemand sehen? Meine Familie auch nicht? Manchmal glaube ich, dass unser Sohn Geister sehen kann, also Tote, die uns in anderen Dimensionen beobachten. Manchmal winkt der Sohn irgendwem zu – aber dort ist niemand, da ist keiner zu sehen, aber der Sohn schaut so zielgerichtet dorthin, als säße dort eine alte Gräfin, die vor 200 Jahren verstarb, aber keine Ruhe finden kann. Sie muss sich rächen; hoffentlich nicht an mir. Dass sie wie ein Windhauch durch unsere Wohnung geistert, gefällt mir nicht. Wir müssten das dem Vermieter melden.
Endlich: Die Frau bezahlt und legt Münzen auf den Tresen. Natürlich zahlt sie in Münzen. Es hätte mich überrascht, wenn sie ihre Sparkassen-Karte gezückt hätte – nein, ihr iPhone, das sie lässig ans Terminal hält. (Es baumelt sonst an einer bunten Kordel.) In dieser Bäckerei ist es so, dass Einkäufe erst ab fünf Euro bargeldlos bezahlt werden dürfen, deshalb kaufe ich stets zu viel, denn ich möchte nicht mit Bargeld bezahlen. Deshalb kaufe ich auch noch den blöden Osterhasen. Und beiße ihm den Kopf ab.