Um 19 Uhr einzukaufen: Das ist doch eine geniale Idee – es wird leer sein, der ganze Supermarkt wird nur mir gehören. Dachte ich. Aber das ist leider Quatsch, der Edeka ist voll. Als ich den Laden betrete, ermahnt die Verkäuferin gerade einen Mann, doch bitte die Zange zu benutzen. Zuvor hat er mit bloßen Händen die Brötchen aus der Vorrichtung gegrapscht. «Die Zange hab ich nicht gesehen», behauptet er. Der Mann trägt einen gezwirbelten Bart, zudem hat er sein langes Haupthaar quer über seine glänzende Glatze gekämmt. Er könnte Pornoproduzent sein, der mit einer Zeitmaschine aus den 80ern angereist ist. Klar, dann kennt er das Konzept mit der Brötchenzange natürlich nicht. Und über die hohen Preise wird er sich auch noch wundern!
Aber weiter, ich möchte Produkte kaufen, die Wirtschaft ankurbeln. Das BSP steigern. Dies und das landet in meinem Einkaufswagen. Ich muss scharf bremsen, der Pornoproduzent hat seinen Warenkorb mitten in den Gang gestellt. Wohl als Blockade. Ich grummle in mich hinein, ich hasse alle Menschen in diesem Supermarkt. Eine Frau telefoniert laut: «Ich habe dich nicht gesehen, also bin ich schon mal in den Edeka rein!» Sie steht nun an der Frischetheke an, um Mett zu kaufen. Das braucht sie für den Sex später.
Ich brauche einen Aufstrich fürs Brot. Ich brauche Butter und ich brauche etwas, das Obazda heißt und mir eigentlich nicht schmeckt, aber ich möchte etwas Neues auf der Zunge spüren. Ein Junge fragt mich plötzlich, ob ich ihm helfen kann, er hat einen Einkaufstrolley dabei, wie ein krummer Opa. Ist er Benjamin Button? Ich helfe ihm trotzdem und hole die Wasserflaschen vom hohen Regal. «Danke und einen schönen Abend noch, der Herr!», sagt er.
Welche Kasse ist die beste?
Ich lege spontan noch Cashews in meinen Wagen, ahne aber, dass zu Hause (im Schrank) bereits viele Packungen Cashews herumliegen. Schließlich zur Kasse: Dort steht eine schwierige Entscheidung an – welche Kasse ist die beste? Zunächst ist nur eine Kasse geöffnet, dort stehen schon einige Leute an. Als die zweite Kasse öffnet, könnte ich rasch wechseln – allerdings ist eine Frau schneller, sie schiebt ihren überfüllten Einkaufswagen zur Kasse #2 rüber. Ich folge ihr. Sie legt die Waren aufs Warenband, ganz in Ruhe, ganz langsam. An Kasse #1 stehen zwar mehr Leute, ich wage es aber trotzdem: Wechsle wieder rüber, weil das Mädchen hinter mir schläft und deshalb nicht reagiert. Die Entscheidung steht, ich bleibe an Kasse #1.
Ganz vorn bezahlt derweil der zeitreisende Pornoproduzent. Beziehungsweise: Er unterhält sich angeregt mit der Kassiererin. Ganz in Ruhe. Ganz entspannt. Die plappern richtig. Quatschen. Wie das denn sei mit ihrem Hund. «Jaa», sagt die Kassiererin, das sei kompliziert, nee? Menschen stehen an, immer mehr Menschen warten. Ich habe stets den sportlichen Ehrgeiz, meine Waren rasant aufs Warenband zu legen und ASAP wieder abzuräumen. Auch das Bezahlen geht ratzfatz. Mein Ziel ist es, so wenig Zeit wie möglich im Edeka zu verbringen. Es könnte doch einen Supermarkt geben, der von den Kunden verlangt, dass sie schnell sind. Ein Markt für eilige Misanthropen, die einfach nur nach Hause wollen. Dort ist keine Barzahlung möglich. Und es gibt kein Erbarmen für die Lahmen.
Einfach weiter abkassieren!
Zwischendurch ertönt ein Hilferuf per Funk: «Wir brauchen dringend eine dritte Kasse», fleht die Kassiererin. Doch die gekrächzte Antwort fällt negativ aus, der Marktleiter hat zu viel zu tun. «Einfach weiter abkassieren!» Die Frau an Kasse #1 packt jetzt die gescannten Produkte in den Einkaufswagen zurück, die Kassiererin fragt: «Soll ich Ihnen schon einmal die Endsumme sagen?» – «Ja», erwidert die Kundin. – «144 Euro und 90 Cent.» Solche Summen sei sie gewohnt, schließlich habe sie sechs Kinder, erklärt sie. Over and out.