Im ICE sitzt neben mir ein Mann, der schweigt und starrt. Ich sitze am Fenster und betrachte die Landschaft, wie sie rückwärts an mir vorbeirauscht. Sehr viel Grün ist zu sehen, außerdem ein paar Pferde, Spaziergänger, Niedersachsen. Ich habe ganz vergessen, dass Deutschland eigentlich aus vielen Feldern besteht. Aus Bäumen, Feldwegen und Hügeln, aus sandigen Wegen und einsamen Häusern, die erstaunlich dicht an den Schienen stehen. Der Mann neben mir versucht sich nun an einer SMS, die er aufs Display schmiert. Das dauert lange und oft kommen Wörter heraus, die da bestimmt nicht stehen sollen. Pflichtbewusst lese ich mit, wie immer, wenn Fremde in meinem Blickfeld ihre Liebesbriefe schreiben.
Beinahe endet die kurze Zugfahrt ohne ein Gespräch. Als aber Leute über meinen ungünstig platzierten Koffer stolpern und ihn fast umreißen, sagt der Mann neben mir: «Bist du sicher, dass das deiner ist? Nicht, dass das ein Talibanbombenkoffer ist.» (Hahaha.) Wir reden ein wenig und ich verrate, dass ich die nächsten Wochen in Hamburg verbringen werde. Der Mann ist begeistert und empfiehlt mir den Ratskeller im Rathaus. Und die Mondrian-Ausstellung soll ich mir auch unbedingt ansehen. «Wenn’s Frühling wird, wollen die Hamburger wie Italiener sein. Und irgendwie klappt das auch», erklärt der Mann noch, dann verschwindet er nach dem Aussteigen in der Menschenmasse. «Lass es krachen!», ruft er zum Abschied.
An der Alster sehen die Leute schön und schick aus, einige allerdings wie Karikaturen. Manche Gesichter sind sonderbar orange-braun angemalt oder gebräunt. Dazu viel Schminke in mehreren Schichten auf der Haut. Um einen Porsche herum stehen ein paar Kerle und gieren unter die Motorhaube. Alles Plastik, nehme ich an. Vor und hinter dem Porsche stehen BMWs und ein schwarzer Mercedes, dessen Besitzer stolz an seinem Fahrzeug steht und die Blicke genießt.
Ein Mann mit zwei Nikon-SLRs hält mich an und wir reden übers Fotografieren; er zeigt mir auch ein paar seiner Bilder, die seine Vorliebe für unscharfe Gesichter verraten. Derweil steht seine Ehefrau daneben. Sie fotografiert lieber Vierbeiner, sagt sie. «Auch gefährliche Viecher?», frage ich. «Ja, auch die», sagt sie. Im Zoo dann aber. Weil in Hamburg selten Tiger herumlaufen, hat sie heute keine Kamera dabei.
Zum Abendbrot esse ich in einem Imbiss eine Currywurst mit Pommes und trinke ein Jever, das es auch hier im Hotel gibt. Im Flur steht eine Kühlschrank-Vitrine, aus der man sich einfach nehmen kann, was man will. Kostet aber natürlich und jede Getränkeentnahme ist auf einem Zettel öffentlich einzutragen. Herr L. hatte heute zwei Jever, Herr M. nur eins. Ich trage meinen O-Saft ein: 0,2 Liter für zwei Euro. Und dann nüchtern ins Bett.
Aufgezeichnet im Michaelis Hof in der Katholischen Akademie in Hamburg. Hier wohnte ich einen Monat lang, als ich einen Journalisten-Intensivkurs besuchte.