Gegenwind

19. April 2023

Abermals im Krankenhaus, um Oma zu besuchen. Die Frau im Nebenbett ist weg (siehe hier), dort liegt nun eine andere Frau, die ungefähr 65 Jahre alt ist. Sie sei Borussia-Dortmund-Fan, erzählt sie unaufgefordert. Sie käme nämlich aus der Nähe von Dortmund und sei dort mit ihren zwei Brüdern aufgewachsen, deshalb sei sie sehr an Fußball interessiert. «Ich trage auch schwarz-gelb!», ruft sie begeistert. Ich höre höflich zu und gebe generische Antworten. Nur: Es interessiert mich überhaupt nicht. Keine Ahnung, wer die Frau ist, keine Ahnung, warum Leute Fußballfans sind – ich bin es nun mal nicht.

Und eigentlich besuche ich meine Oma. Während ich mit ihr spreche, mischt sich die Frau aus dem Nebenbett immer wieder ein. Verbalisiert ihre Meinung. Dann telefoniert sie, dann kommt der Arzt und er sagt: «Sie muss ich leider rausschicken.» Er meint mich, ich muss auf dem Flur warten, während er seiner Arbeit nachgeht. Auf dem Flur ist es ruhig, es riecht nach Kaffee. Nur vereinzelt sind Stimmen zu hören. Eine Krankenpflegerin lässt plötzlich etwas polternd fallen. «Randalierst du wieder?», ruft eine andere.

Der Arzt ist fertig, ich darf wieder rein. Die Frau aus dem Nebenbett erzählt, dass sie mit dem Wohnmobil in die Eifel gefahren sei, mit ihren Kindern. Aha. «Schön da», sage ich automatisch. – «Ja.»

Meine Oma sitzt da in ihrem Bett. Auf dem Fensterbrett stehen Blumen, die meine Frau und ich ihr beim vorherigen Besuch mitgebracht hatten. Ich tausche das Wasser aus und zupfe die Blüten zurecht. Ich erzähle Oma von ihren Postkarten, die sie mir über die vergangenen 25 Jahre geschickt hat. Ein- oder zweimal im Jahr ging’s nach Südtirol. Ich habe die Karten von meiner Oma aufgehoben, wie sämtliche Postkarten, die ich je bekommen habe. Die ältesten Karten sind aus den frühen 90er-Jahren: Cornelia schrieb von Borkum, Jonas von Usedom, Daniel aus Dänemark. Und Oma und Opa schrieben immer aus Südtirol und von der Ostsee – nur einmal schrieben sie aus Ägypten, das ist auch schon mehr als 20 Jahre her. Die Zeit rieselt uns zwischen den Fingern hindurch. Eben noch wollten wir so viel erleben, und jetzt ist es einfach zu spät.

Draußen drückt eine Böe gegen das Fenster. Windig sei es heute, kommentiert die Frau im Nebenbett. «Stimmt», sage ich, «dann muss ich gleich ordentlich strampeln.» Bin nämlich mit dem Fahrrad hier. Dann gibt es Abendessen, ich verabschiede mich. Oma lächelt, bis bald.

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