Der beste Platz

1. September 2023 · Wochenmarkt

An diesem Markttag haben wir Glück: Die Holzbank ist frei, die Bank mit dem Holztisch – ein praktisches Ensemble, um den soeben erworbenen Falafel-Wrap zu verspeisen. Da sitzen wir also auf der Bank und der Sohn liegt im Kinderwagen und denkt nach. Über sich und das Leben. Ich habe den Mund voller Wrap, als eine Frau auftaucht und ohne Umschweife fragt: «Wie alt?» Ohne Einstieg, ohne Begrüßung, ohne Vorstellung. Dass sie den Sohn meint, ist klar. Alle paar Minuten fragt jemand diese Frage. Eine rasche Antwort können wir der Frau aber nicht geben – wie gesagt, wir zerkauen Wraps. Mampfen. Schmatzen. Vertilgen. Das sieht die Frau eigentlich auch und dennoch schaut sie ungeduldig aus der gestreiften Wäsche. Sie ist etwa 60 Jahre alt. Sie trägt eine sportliche Sonnenbrille. Ich mag sie nicht. Sie möge verschwinden, denke ich heimlich. In der Hand hält sie einen Pappteller voller Gulasch. Endlich erhält sie die erwünschte Auskunft: «Drei Monate.» Aha. TSCHÜSS!

Sitzen Sie da noch ganz lange?

Die Frau geht endlich weiter, kehrt dann aber zurück. Sie wirkt unschlüssig, fragt dann: «Sitzen Sie da noch ganz lange?» Sie möchte unseren Platz haben, will den Platz besetzen, die Bank und den Tisch. Damit sie ihr Gulasch essen kann.

Wir sitzen noch keine drei Minuten hier, haben also ein gewisses Anrecht, hier zu verweilen, zumal wir bei keinem Marktbesuch bisher das Glück hatten, diesen Tisch besetzen zu können – es ist ein wunderschöner Tisch, hinter uns befinden sich die Fischstände, es riecht wie an der Küste. Das Meer, die Brandung. Möwen keifen: Moin!

Ob Sie da noch lange sitzen?!

«Hallo? Ob Sie da noch lange sitzen?!», keift die Frau ungeduldig. «Ja, weil meine Frau noch stillen wird», behaupte ich. Die Frau wirkt enttäuscht, wütend, genervt. Sie treibt sich herum, schleicht von einem Tisch zum anderen, doch die sind alle besetzt – überall lungern Eltern mit ihren Babys herum.

Schließlich hat sie doch noch Glück, sie kann sich auf einer Bank zwischen zwei Leute quetschen. Da hockt sie und frisst ihr Gulasch Schiebt es sich in die Gusche. Sie schaut zu uns rüber. Beobachtet uns. Stechender Blick. Die ganze Zeit. Sie ist besessen.

Der Sohn betrachtet derweil interessiert den Markt. Findet er toll, vor allem die Blätter der Bäume, die über unseren Köpfen im Wind rascheln.

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