Böllern

29. Dezember 2022

Wahrscheinlich ist es so, dass einem Drittel der Bevölkerung Böller zuwider sind. Weil sie Hunde haben, weil sie den Krach nicht mögen. Das andere Drittel ist irgendwie normal: Das sind Leute, die durchaus Geld ausgeben, um kleine Raketen in den Himmel zu jagen. Uuhh, aahh – toll! Die Nachbarn schauen beeindruckt, das ist wichtig. Das dritte Drittel sind die Spinner1, die auch Polenböller kaufen oder TNT im Darknet. Sie wollen Krieg an Silvester, sie schießen mit Raketen auf Menschen.

  1. Beispiel: Es war einmal ein junger Mann, der zog sich komplett schwarz an und bastelte sich zwei Holster für Raketen. Auf dem Rücken hatte er sich einen schwarzen Rucksack geschnallt – einen Rucksack voller Sprengstoff. Der Mann trug Handschuhe und lief die Straße entlang, hin zum Maschsee, wo die Hannoveraner das neue Jahr begrüßten. Der Mann feuerte wie eine Maschine seine Raketen und Böller ab, er böllerte sich in den Wahn, aber er liebte es. Er war allein unterwegs, allein in seiner Uniform, allein mit seinen Raketen. Oje, dachte ich und hielt mich fern von dem.

In den alljährlichen Gesprächen zum Thema Böller/Böllerverbot schlägt immer jemand vor, dass es doch eine zentrale Veranstaltung geben müsste, ein großes Feuerwerk, wunderschön, das sich alle anschauen können. Niemand muss dann mehr lächerliche LIDL-Raketen in den Himmel jagen. Die Umsetzung dieser Idee ist in Deutschland aber einigermaßen undenkbar, denn dieses seltsame Land setzt sinnvolle Vorschläge nicht so gern um.

Ich selbst hasse Böller, habe sie immer schon gehasst. Als Kind, selbst als Jugendlicher. Flashback: Bei Kochs sitze ich mit F. und F., wir zocken und trinken Smirnoff Ice. Anbei ist ein anderer Kerl, dessen Namen ich vergessen habe. Er ist schweigsam und seltsam. Er trägt womöglich einen schwarzen Hoodie – ich weiß es nicht mehr. Um Mitternacht endlich raus, der Namenlose kann loslegen. Wirft einen Böller nach dem anderen auf die vereiste Straße, unter die Autos, in die Gullys. Wumms! Peng! Rumms! Er ist so glücklich. (Die Kochs trinken Sekt, später trennen sie sich, lassen sich scheiden.) Es ist kalt, es riecht nach Rauch. «Frohes Neues!», trällern die besoffenen Leute, die ich nicht kenne.

Ich hasse alles daran, keine Ahnung, ich bin im Inneren wohl ein Hund, ein Schweinehund, na klar, der friedlich auf dem Sofa liegen und dösen will. So ein professionelles Feuerwerk aber, das ist schon schön, da starre ich auch gern in den Himmel und schau mir das Spektakel an. Es müsste wirklich eine zentrale Veranstaltung geben, von der Stadt organisiert. Und dann eine Million Euro in den Himmel schießen, um die scheiß Geister zu vertreiben.

Zusatz (31.12.2022)

Seltsam ist ja auch, dass mit der Böller-Industrie ein Wirtschaftszweig am Leben gehalten wird, der völlig überflüssig ist. Sollen die Böller-Fabriken lieber richtigen Sprengstoff bauen, um damit marode Autobahnbrücken zu sprengen. Und Türme. Und schlanke Sendemasten und verschimmelte Hochhäuser. Objektiv betrachtet sind Böller außerdem sinnlos, da es Geister nicht gibt – und wenn doch, haben sie sicherlich kein bisschen Angst vor den Knallern. Geister haben wahrscheinlich vor gar nichts Angst, weil sie keine Gefühle empfinden und nicht pinkeln müssen.

Sicherlich ist es so, dass gewisse Menschen (Männer) eine perverse Freude daran erfinden, dass andere Menschen Böller richtig schlimm finden, sie abgrundtief hassen und ablehnen. Angst davor haben. Das macht den Reiz dann auch aus: Den Spießern einen China-Böller P ins Maul zu schleudern. (Das ist wie auf der Autobahn, wenn Uwe mit 300 km/h über die A2 ballert und den dummen Corsa von der linken Spur lichthupt. Out of my way, motherfucker. Auch ganz geil, so vom Feeling her.) Gut an dem Thema Böllern ist immerhin, dass es nur einmal im Jahr diskutiert wird, danach interessiert es wieder keinen.

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