Was Jesus täte

18. Juli 2011 · Kino

Neulich war ich mit meiner Begleitung im Kino. Wir verzichteten auf modernen 3D-Schnickschnack und sahen ein altbewährtes Lichtspiel, das immerhin ein digitaler Projektor an die Leinwand warf. Meine Begleitung bemerkte den Bildunterschied jedoch nicht, während ich voller Begeisterung ob der herrlichen Farben und Kontraste die Leinwand ablecken wollte. Ich tat dies aber nicht, weil ich ganz nach vorn hätte gehen müssen und der Boden dermaßen klebte, dass nur ein zähes Schleichen möglich war. Der Abspann wäre längst gelaufen, ehe ich unten angekommen wäre. Also blieb ich sitzen und machte meine Sitznachbarin auf das hervorragende Bild aufmerksam: «Keine Fussel, keine Flusen und keine Flecken – siehst du das denn nicht?» – «Ne.»

Zuvor hatten wir in der langen Schlange gestanden, um reservierte Karten abzuholen. Während ich meine Begleitung mit meinen Überlegungen langweilte, stand plötzlich die Kinokartenverkäuferin auf, lugte über die Scheibe – sicherlich Panzerglas – und richtete das Wort an uns, die wartenden Kinogänger.

Ob denn jemand die Güte besäße, einem kleinen Mädchen hier vorn fünfzig Cent zu geben, sie würde sich sonst die Kinokarte nicht leisten können, erläuterte die Verkäuferin in indirekter Rede. Ihr selbst sei es in der Rolle als Kinokartenverkäuferin aus rechtlichen Gründen nicht gestattet, während der Arbeit Bargeld mitzuführen, weswegen sie sich nun voller Hoffnung an uns, die guten Kinogänger in der Schlange, wendete.

«Hat sie denn keine Münzen in der Kasse?», fragte eine adipöse Frau hinter mir und schüttelte den Kopf so stark, dass ich ihr Gesichtsfett schlabbern hören konnte.

An der Kinokasse stand also das liebenswürdige Mädchen und wartete geduldig auf die Spende. Sie war ein wenig pummelig und Brillenträgerin. Sie war ganz allein hier, was ich bewunderte. Meine heimliche Fantasie, allein ins Kino zu gehen, gewann fast schon an erotischer Spannung, als mein Dozent in seiner Vorlesungen über das Buch Bowling Alone (2000) spottete: Nur ein Kinobesuch ohne Begleitung ist ähnlich traurig wie allein Bowlen zu gehen. Welch verbotenes Vergnügen das wäre!

Meine Begleitung schaute mich irritiert an, sie las schon wieder meine Gedanken. Schnell kramte ich lieber mein Portemonnaie hervor und wir alle taten so, als suchten wir nach 50 Cent. Ich fand die passende Münze auch, wartete aber darauf, dass der Mann vor mir Kleingeld aus seinem Bestand zur Verfügung stellte. Und endlich verlor er die Nerven, wahrscheinlich fing sein Film gleich an. Er hielt eine brandneue Münze in die Luft – sie glänzte und funkelte – und schritt nach vorn.

Jesus war kein Kinogänger

«Ich bin Christ und tue dies gerne, denn Jesus würde es auch tun», erklärte der Mann uns Gaunern, die auf den Boden schauten, auf der Suche nach noch mehr Geld.
«Jesus war gar kein Kinogänger», wusste ich und wischte mir die Tränen aus den Augen. Der edle Spender war der Held des Abends und wir alle ihm äußerst dankbar. Viele von uns dachten darüber nach, ihm ein Denkmal aus Popcorn zu errichten. Das war uns dann aber doch: zu teuer.

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